Predigt
zum Privilegienfest 2017 |
Salier Gesellschaft
e.V. |
Predigt
zur Lichtermesse 2017 am 5. August 2017 in der Krypta des
Domes Man schreibt den 5.
Juli 1044 im Feldlager des deutschen Königs. Es ist am Abend eines
siegreichen Tages. In Menfö an der Raab findet ein
denkwürdiges Schauspiel statt. Der 26-jährige König Heinrich barfuß und in
härenem Gewand sinkt in die Knie vor einer Reliquie des heiligen Kreuzes. Die
Umstehenden lassen sich von dieser Geste anstecken und fallen ebenfalls auf die
Knie. Sie vernehmen aus dem Mund des Königs, er wolle jedem, der gegen ihn
gefehlt habe, verzeihen und fordere alle auf, auch untereinander zu Frieden
und Versöhnung zurückzukehren. König Heinrich hat an
diesem Tag den selbst ernannten König Samuel-Abas besiegt. Dieser Usurpator
hatte drei Jahre zuvor den rechtmäßigen Ungarnkönig Peter I. in einer Revolte
vertrieben. König Heinrich setzt nach diesem Sieg Peter I. wieder in seine
Herrschaft ein. Dieser dankt ihm umgehend mit dem Vasalleneid.
Erstmals besitzt der deutsche König die Lehenshoheit über alle drei östlichen
Nachbarländer seines Reiches. 1041 waren bereits Böhmen und Polen unterworfen
worden. Mit den westlichen Nachbarn lebt der König nicht nur in gutem
Einvernehmen, er ist sogar mit einigen von ihnen sogar verwandt. Seine im
Jahr 1038 verstorbene
erste Frau Gunhild war eine Tochter des Königs Knud von England und Dänemark. 1043 hat er in
zweiter Ehe Agnes von Poitou, die Tochter des
Wilhelm von Aquitanien geheiratet. So steht Heinrich III. auf dem Zenit der
Macht in einem allseits befriedeten Mitteleuropa. Der staunende
zeitgenössische Chronist verzeichnet einen bislang unerhörten Frieden. Ein
gutes Jahrzehnt zuvor hatten sich Pläne der Heirat Heinrichs mit der Tochter
des Kaisers von Byzanz zerschlagen. Aber dass diese Möglichkeit erwogen
wurde, zeigt, wie großräumig jetzt in Mitteleuropa politisch gedacht und
gehandelt wurde. (972 hatte sich schon einmal ein Kaiser, Otto II. mit einer
oströmischen Kaisertochter vermählt, mit Theophanu.)
Am Abend des
siegreichen 5. Juli 1044 findet also dieses denkwürdige Schauspiel statt:
König Heinrich, barfuß und in härenem Gewand vor einer Reliquie des hl.
Kreuzes auf den Knien und auf den Lippen die Aufforderung, zu Frieden und
Versöhnung zurückzukehren. Dabei handelt es sich um eine Bekräftigung seiner
Anordnung, jeder solle jedem vergeben, die er an Weihnachten 1043 in Trier
geradezu als Gesetz erlassen hat. Dieser denkwürdige Abend Anfang Juli 1044
stellt einen Gipfelpunkt nicht nur des 11. Jahrhunderts, sondern der
Geschichte Europas dar. Gleichzeitig hat er etwas Archetypisches.
Augenblickshaft scheint ein Menschheitstraum verwirklicht zu sein, der auch
heute noch lebendig ist. „Schwerter zu Pflugscharen“, so lautet die biblische
Vision. Jeder soll in Ruhe und Sicherheit unter seinem Weinstock oder
Feigenbaum sitzen können (Mi 4,3f) – ein wunderbares Bild für den
Frieden. Doch wir wissen:
diese von der obersten politischen Macht verordnete, gut gemeinte Weltordnung
bricht wenig später zusammen. Die Menschen werden zu Tätern, Zeugen, und
Opfern einer erbitterten Polarisierung all der Kräfte, die jetzt kurz vereint
sind. Wenige Jahre später 1054 kommt es in Konstantinopel zur ersten großen
Kirchenspaltung, Sie beschleunigt zugleich das Auseinanderdriften von West-
und Osteuropa auf den Gebieten der Politik, der Kultur und der Mentalität. Die politische Feier
des Königs am Abend des 5. Juli 1044 steht als quasi liturgischer Akt im
Zeichen der Religion. Was uns heute so fremd anmutet, war damals äußerst
plausibel. Im Alter von zehn Jahren wird Heinrich am Ostertag 1028 von
Erzbischof Pilgrim von Köln zum deutschen König
gesalbt. Dabei wird er mit Zepter, Stab und Krone ausgestattet. Zugleich wird
er auf den Thron zu Aachen erhoben, den man auf Karl den Großen zurückführt.
Sein Sohn Heinrich IV. empfängt im Juli 1054 die gleiche Weihe bereits mit
knapp vier Jahren. Man muss sich diese sakrale Weihe eines Kindes einmal
deutlich vor Augen halten, welche Vorstellung dahintersteckt und wie sie sich
auf die Psyche eines Kindes auswirken muss. Aus einer Feier wie der im Jahr
1028 oder 1054 entwickelt sich fast zwangsläufig ein religiöses
Herrscherbewusstsein. Tatsächlich nimmt
Heinrich III. aus seiner Königsweihe ein unauslöschliches Bewusstsein von der
Hoheit seines Herrscheramtes mit, zu dem er sich nach Gottes Willen bestellt
sieht. Noch Jahrzehnte später beruft er sich ausdrücklich auf dieses
Ereignis. Der König als oberster Wahrer des Friedens. Das ist keine neue
Idee. Diese Vorstellung war längst von der antiken Tradition und mehr noch
vom christlichen Herrscherethos vorgezeichnet. Aber Heinrich nimmt sie auf
eine derart persönliche und konkrete Weise wahr, so dass seine Zeitgenossen
darüber staunen. In Frankreich gibt es
gleichzeitig eine Bewegung, die das Gesetz des Gottesfriedens (Treuga Dei) durchsetzen will.
1040 erlässt eine aquitanische Synode das Gebot,
allwöchentlich müssten von Mittwochabend bis Montagfrüh alle Fehden ruhen.
Wer dagegen verstoße, verfalle der Strafe des Kirchenbanns. Heinrich ist
davon sicher angeregt. Aber er ordnet den Frieden nicht auf dem Wege eine
Synode an, sondern kraft seiner Autorität als König. Auch für seine
Zeitgenossen ist klar: Der König ist nicht der Erste unter Gleichen. In
seinem Amt vereinigen sich Züge des biblischen Priesterkönigs mit der
germanischen Idee der Herzogs, der das Heil seines Stammes verkörpert und
bewirkt. Kraft der Salbung mit
dem heiligen Öl bei seiner Weihe ist der König der Beauftragte Gottes zur
Wahrung des Rechts der Einzelnen wie der Gemeinschaft, der Bewahrer des
Friedens nach innen wie nach außen, zugleich ist er der Schutzherr der
Kirche. Er gilt als gemischte Person (mixta persona), als menschlich von Natur und göttlich von der
Gnade. Sein Hofkaplan Wipo von Burgund bezeichnet
den König ganz selbstverständlich als „vicarius
Christi“, als Stellvertreter Christi, ein Titel, den herkömmlicherweise der
Papst für sich beansprucht. Er ist der Gesalbte des Herrn. Diese Überzeugung
hatte Heinrich von seinen Vorgängern geerbt. Etwa Otto III., der sich den Titel
„Servus Jesu Christi“ – „Knecht Jesu Christi“ gab. Heinrich II., der letzte
ottonische Kaiser übernimmt dieses Sendungsbewusstsein. Nach dem Tod
Heinrichs II. einigt sich der Adel auf einen fränkischen Adeligen namens
Konrad, der mütterlicherseits ein Urenkel Ottos des Großen ist. Damit beginnt
die Dynastie der Salier, die aber eben in Beziehung und Kontinuität zu den
Ottonen steht. Konrad II. ist bei dem Antritt seiner Herrschaft 34 Jahre alt.
Schon zwei Jahre später lässt er seinen minderjährigen Sohn von den Fürsten
zu seinem Nachfolger und Mitherrscher designieren.
Im Umgang mit der Kirche folgt Konrad den Gewohnheiten seines Vorgängers,
obwohl er selbst geistlich nicht besonders gebildet ist. Er ist der letzte
Analphabet auf dem Königsthron. Aber ganz selbstverständlich nimmt er das
Recht in Anspruch, die Bischöfe ins Amt einzusetzen. Keiner macht es ihm
streitig. An Pfingsten 1039
besucht Konrad mit seinem Sohn Heinrich zu Utrecht die Messe. Beim
Mittagessen wird er plötzlich von heftigen Schmerzen befallen. Er versucht
sie zu verheimlichen, um die Freude des Festtages nicht zu stören. Am
folgenden Tag muss er die Bischöfe rufen und sich Kreuz und Reliquien bringen
lassen. Nach dem Empfang der Kommunion verabschiedet er sich von seiner Frau
und seinem Sohn und stirbt noch am selben Tag. Sein Sohn folgt ihm als
Heinrich III. 21-jährig in die Regentschaft. Bewusster noch als sein Vater
versteht er sich nicht nur als weltlicher, sondern auch als geistlicher
Herrscher. Er begründet – unwidersprochen – die Tradition, den Bischöfen
nicht nur den Hirtenstab, sondern auch den Ring zu überreichen also die
später so umstrittene Investitur mit den geistlichen Insignien Ring und Stab.
Von seinem Hofkaplan Wipo, einem hochbegabten
Theologen, stammen zwei Schriften, die ihn in diesem Selbstverständnis
bestärken. Auch unser Bild auf dem Liedblatt aus dem Bremer Codex
demonstriert seine Stellung: zwischen zwei Kirchenvertretern, zwei Äbten, die
ihn stützen, in der Mitte König Heinrich im Krönungsornat mit Zepter und
Reichsapfel. Kaum ist seine
Herrschaft politisch gefestigt, macht sich Heinrich energisch daran, die
Kirche zu reformieren. Im Dezember 1046 setzt er auf zwei Synoden in Sutri und Rom alle drei korrupten Konkurrenten um das
Papstamt ab. (Die Geschichte dieses Schismas wäre einer eigenen Betrachtung
wert. Und sie ist wahrhaft kein Ruhmesblatt für die Kirche.) Dann erhebt er
einen deutschen Bischof Suidger von Bamberg zum
neuen Papst. Der nennt sich Clemens II. Bei dieser Namensgebung bezieht
dieser sich bewusst auf Papst Clemens I, einen Papst aus der Frühzeit. Er
bekennt sich damit zum Ideal der Urkirche, für die sein Namensvorgänger
steht. Am Weihnachtstag 1046 empfangen Heinrich und seine Gemahlin Agnes aus
der Hand des neuen Papstes die Kaiserkrone. Bei der Reformsynode, die Papst
Clemens gleich an Neujahr 1047 eröffnet, räumt er dem Kaisereinen Ehrenplatz
zu seiner Rechten ein. In der kurzen Zeit zwischen 1046 und 1058 kommen
hintereinander fünf Deutsche auf den Papstthron. Alle bis auf Leo IX. mit auffällig
kurzen Pontifikaten. Daher entstehen bald Gerüchte, man helfe in Rom beim
Ableben der Päpste mit Gift ein wenig nach. Wie dem auch sei – in dieser Zeit
beginnt der Wiederaufstieg des Papsttums zu universaler Geltung und
Wirksamkeit. Den Anstoß dazu hat Heinrich III. ohne Zweifel gegeben. Keiner
konnte ahnen, dass es einige Jahre später zu einem gewaltigen Konflikt kommen
würde. Wir wissen, wie heftig dann zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. dann
die entgegensetzten Auffassungen aufeinanderprallten. So schlimm dieser
Konflikt für alle Beteiligten war, er hat schließlich zu einer Klärung der
Kompetenzen geführt, die für beide Seiten hilfreich war. Westeuropa entging,
wie es ein Geschichtswissenschaftler einmal ausdrückte, der Gefahr einer
monolithischen Theokratie. Es gab keinen Gottesstaat und keine Staatskirche.
Noch heute profitieren wir von dieser Entwicklung. Staat und Kirche sind
aufeinander bezogen, aber jedes System behält zugleich seine
Eigenständigkeit. Dabei ist die Balance immer wieder neu auszutarieren.
Einerseits keine staatliche Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten,
andererseits keine klerikale Bevormundung der Politik. Notwendig ist ein
partnerschaftliches Miteinander zum Wohle der Menschen. Wir wissen ja: der
Islam kennt diese Differenzierung so gut wie nicht. Wie fatal das sein kann,
zeigt sich ja gerade in der jüngsten Zeit weltweit bei eine Reihe von
Besorgnis erregenden Entwicklungen. Dass die Utopie der
einen Welt auf Dauer nicht zu realisieren war, wurde auch in den letzten
Lebensjahren Heinrichs deutlich. Die Konflikte und Auseinandersetzungen
mehren sich.1056 stirbt er überraschend in der Nähe von Goslar. Sein Herz und
seine Eingeweide werden in der Ulrichskapelle der
dortigen Kaiserpfalz beigesetzt. Der Sarkophag ist bis zum heutigen Tag
erhalten. Am 28. Oktober 1056, seinem 39. Geburtstag wird sein Leichnam hier
im Speyerer Dom begraben. Eine Tafel unseres Domportals erinnert an seinen
frühen Tod. Sie zeigt Papst Viktor II. am Totenbett des jungen Königs. Ob in diesem Jahr nun
sein 1000. Geburtstag begangen werden soll, oder – wie neuere Forschungen
ergeben haben – er möglicherweise schon 1016 geboren wurde, diese Diskussion
möchte ich der Wissenschaft überlassen. Jedenfalls gedenken wir eines
Visionärs, der vor tausend Jahren auf seine Weise versucht hat, nach besten
Wissen und Gewissen Kirche und Welt zusammen zu denken und zusammen zu
bringen. Liebe Schwestern und
Brüder! Heute auf den Tag genau vor fünf Wochen stand hier im Altarraum der
Sarg von Bundeskanzler Helmut Kohl. Sein politisches Wirken steht ebenfalls
für ein Miteinander von Kirche und Staat. Freilich im Sinn eines
wohlwollend-konstruktiven Gegenübers, wie es sich bei uns Gott sei Dank im
Lauf der Jahrhunderte entwickelt hat. Bischof Wiesemann hat sich am Ende
seiner Predigt genau darauf bezogen. Er verwies auf das Domportal, das
Ministerpräsident Helmut Kohl als Geschenk des Landes Rheinland-Pfalz am 7.
März 1971 übergeben hat. Bischof Wiesemann zitierte in diesem Zusammenhang
Kardinal Wetter. Der hat dieses Geschenk einmal als besonders sinnfällig
charakterisiert: im Hinblick auf das Verhältnis von Kirche und Staat und das
Selbstverständnis des christlichen Politikers Helmut Kohl. Unser Portal
trennt nicht nur die unterschiedlichen Bereiche klar voneinander, sondern es
verbindet sie auch miteinander. Beide Dimensionen stehen in einem lebendigen
und inspirierenden Austausch, in einem unauflöslichen Spannungsgefüge. Möge
es uns gelingen, in unserer Stadt und in unserem Land dieses konstruktive
Zueinander weiterhin aufrecht zu erhalten und zu pflegen zum Wohl aller
Menschen. Josef D. Szuba Literatur:
Das
salische Kaiser-Evangeliar. Der Kommentar, Johannes
Rathofer (Hrsg.), mit einem Geleitwort von Bischof
Anton Schlembach. Münster u. a., Verlag Bibliotheca
Rara. 1998. Speziell zum Thema: Bd. I.: Stefan Weinfurter. Herrscherbilder
und salische Kaiserdynastie im Codex aureus Escoraliensis; Band II.: Ulrich Schludi.
Die Friedensidee und das Herrschaftsethos Heinrichs III., S. 547ff; Bernhardin Schellenberger. Die
Utopie der einen Welt. Visionen des geeinten Europa von König Heinrich III.
im 11. Jahrhundert; in: Bernd Stappert „Tausend
Jahre wie ein Tag…“ Das zweite Jahrtausend im Spiegel von zehn Tagen.
Würzburg 2001, S. 10ff Annika
Hüsing. Wipo (ca. 1000 bis ca. 1046) als Geschichtsschreiber? Hagen 2011
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