südseiteklein.jpgPredigt zum Privilegienfest 2015

Die Stuhlbrüder am hohen Dom zu Speyer

Krone33.jpgSalier

Gesellschaft e.V.

 

Predigt zur Lichtermesse 2015

am 1. August 2015 in der Krypta des Domes

 

„In dem hohen dhom stifft zu Speyer ist eine uhralte kayserliche fundation vor 12 personen, die für die abgestorbenen stifftere und im hohen dhomb ruhende kaysere und kayserinnen alltäglich ein gewisses gebett verrichten müssen, und in denen kayserlichen dieser löblichen Brudterschaft allergnädigst ertheilten freyheits brieffen Eleemosynari Caesarum et Imperij, vulgo aber stuhlbrüdere genennet werdten, ohne zweiffel daher,weil sie wie andtere Chorpersonen wehrenden Gotteß dienst unter allen horis in ihren stühlen praesentes seyn und unter denenselben 8 heilige Rosen Cräntz betten müßen.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser Text von 1732 beschreibt sehr aufschlussreich die Bedeutung und Aufgabe der sogenannten Stuhlbrüder: eine Gebetsgemeinschaft von Laien hier am Dom, die vom Mittelalter bis zur Säkularisation zuverlässig ihren Dienst verrichtete.

 

Wer waren diese Stuhlbrüder und welche Bedeutung hatten sie für unseren Dom? Ihre Anfänge verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Lange Zeit hat man angenommen, dass ihr Ursprung auf die salische Zeit zurückgeht. Im letzten Jahr ist eine Dissertation erschienen, die versucht, Licht in das Dunkel zu bringen. Allerdings bleiben – wie so oft in der wissenschaftlichen Forschung – viele Fragen offen. Der Autor Sven Gütermann vermutet, dass Bischof Konrad von Scharfenberg am Anfang des 13. Jahrhundert diese Gebetsgemeinschaft gegründet hat. Vorbild waren ähnliche Initiativen in Bamberg und Augsburg. Er wollte damit in der Zeit der Staufer erneut die Bedeutung des Speyerer Doms als Grablege der Herrscher des Reiches unterstreichen.

 

Konrad von Scharfenberg – seinem Geschlecht gehörte die Burg Scharfenberg beim Trifels –war eng mit König Philipp von Schwaben befreundet. Als dieser 1208 im Bamberg ermordet wurde, brachte Konrad gemäß dem Wunsch des Verstorbenen die Reichsinsignien auf die Burg Trifels in Sicherheit. Die Herausgabe der Reichinsignien knüpfte Konrad an die Bedingung, Reichskanzler zu werden, was er noch 1208 durchsetzen konnte und was er bis zu seinem Tod 1224 geblieben ist. Etliche Jahre mischte also damals ein Speyerer Bischof mit in der großen Weltpolitik. Zugleich sorgte er aber auch für ein Bistum, nicht zuletzt durch die Ansiedlung einiger neuer Ordensgemeinschaften wie dem Deutschen Orden und den Franziskanern in Speyer. In seine Zeit fiel die Überführung und Beisetzung Philipps hier im Speyerer Dom. Möglicherweise wurde damals auch die Idee der Stuhlbrüder von Bamberg nach Speyer gebracht. Und nach Bamberg könnte die Idee durch das Vorbild eines Klosters in Konstantinopel gekommen sein, wo es eine ähnliche Stiftung gab. Zwölf Bettlern wurde dort das Gebet am Grab eines hochrangigen Richters aufgetragen.

 

Kehren wir zurück zur Bedeutung und Tätigkeit der Stuhlbrüder, die seit dem 13. Jahrhundert bezeugt sind. Zunächst zur Zahl: Es waren zwölf. Im Hintergrund steht die Zahl der Apostel. Die Zahl drei, die für Gott, genauer für die göttliche Trinität steht, multipliziert mit der Zahl vier, die das Irdische symbolisiert - etwa die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten oder die vier Elemente.

 

Ihre Aufgabe war das tägliche Gebet für die Kaiser. Die sieben Gebetszeiten, die die Kirche bist heute kennt, gehen zurück auf das Psalmwort: „Siebenmal am Tag singe ich dein Lob wegen deiner gerechten Entscheide.“ (Ps 119,164) Der ganze Tag soll geprägt sein vom Lob Gottes. Zu den sieben Gebetszeiten des Stundengebets kam als achte die Feier der Heiligen Messe. Mit einem Rosenkranz in der Hand hatten sie ein beträchtliches Gebetspensum zu absolvieren. Über den Tag verteilt hatten sie je 200-mal das Vaterunser und das Ave Maria zu beten. Im Mittelalter war es gang und gäbe, für die des Lesens Unkundigen jeden Psalm durch ein Vaterunser zu ersetzen. Dazu versahen die Stuhlbrüder eine ganze Reihe von liturgischen Diensten; sie waren sozusagen die Sakristane und Messdiener des Domes. Ihre Häuser befanden sich in der nach ihnen benannten Stuhlbrudergasse. Ihr Einkommen erhielten sie durch verschiedene Stiftungen, sprich Pfründe. So bekamen sie den Zehnten vom ihrem Hof in Mutterstadt, wo heute noch eine Straße nach ihnen benannt ist. Und gegenüber der St. Georgskirche besaßen sie eine Mühle, die sogar die Stuhlbrüder überdauerte und 1908 abgebrannt ist.

 

Erkennbar waren sie an ihrer Dienstkleidung: eine faltenreiche schwarze Kutte mit Kapuze, auf dem Kopf ein weißes Birett. Die Nachzeichnung des Siegels zeigt einen bärtigen Stuhlbruder in seinem geistlichen Gewand mit einer Gebetskette, an der exakt zwölf Perlen aneinandergereiht sind – vielleicht ein Hinweis auf die Anzahl der Personen in der Gebetsgemeinschaft. Die Umschrift D S DER STULBRUDERI ist gut zu lesen: „Das ist das Siegel der Stuhlbrüder“. Sie durften verheiratet sein, allerdings fiel die Hälfte ihres Erbes an die Gemeinschaft zurück. Ihren Platz hatten sie in einem eigenen Chorgestühl in der Nähe der Grablege. Beigesetzt wurden sie im Großen Paradies – also am Nordeingang des Domes.

 

Doch was hat es auf sich mit ihrem Titel als Almosener des Reiches? Auch hier sind wir auf Vermutungen angewiesen. Beim Tod Heinrichs IV. – so berichtet seine Vita – trauerten die Fürsten und das Volk wehklagte. Dabei werden unter den Trauernden die Witwen, Waisen und Armen hervorgehoben. Mehrfach berichten die Quellen, dass Heinrich IV. bei besonderen Gelegenheiten eine Armenspeisung durchgeführt und stellvertretend für alle zwölf Arme neu eingekleidet hat. Demzufolge stehen also die Stuhlbrüder für die dauerhafte und unvergessene Fürsorge des Kaisers, der in seiner Vita als pater pauperum, als Vater der Armen bezeichnet wird. Dahinter steckt das Idealbild eines Herrschers, wie es schon im Alten Testament beschrieben wird: der Herrscher, der besonders für die Armen und Bedürftigen sorgt und ihr Anwalt ist. Und davon geprägt war auch das Selbstverständnis eines Königs im Mittelalter, wenn er seinem hohen, von Gott gegebenen Amt gerecht werden wollte. Man kannte ja das Wort Jesu: „Was ihr einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Nicht zuletzt bei der Stiftung der Speyerer Privilegien spielt ja die Armenspeisung eine große Rolle. Die Mächtigen tragen eine besondere Verantwortung für die Benachteiligten und Schwachen in der Gesellschaft – eine große Herausforderung bis zum heutigen Tag.

 

1803 endete die Geschichte der Stuhlbrüder. Durch die Säkularisation wurde ihre Gebetsgemeinschaft ebenso wie das Domkapitel aufgehoben. Damit ging eine fast 600-jährige Geschichte zu Ende.

 

Ihr Gebet für die Salier, das sie jahrhundertelang gepflegt haben, zeigt zum einen, dass Könige und Kaiser ebensolche Sünder sind wie alle normal Sterblichen, die das Gebet nötig haben. Keiner ist perfekt. Auch sie waren es nicht. Ihr hoher Rang hat sie nicht immun gemacht gegen Schuld und Sünde. Sie bedürfen der Vergebung und der Barmherzigkeit wie alle Menschen. Zum anderen zeigt die Gebetsgemeinschaft, dass es unter uns Christen eine starke Verbundenheit über den Tod hinaus gibt. Die Toten sind nicht einfach verschwunden und ausgelöscht. Sie haben einen bleibenden Platz bei Gott. Jedes Mal, wenn wir Eucharistie feiern, gehört dazu auch das Totengedenken, gehört dazu, die Hoffnung auf die Auferstehung und das ewige Leben. Das II. Vatikanische Konzil hat das vor fünfzig Jahren in seiner Konstitution über die Kirche unübertrefflich ausgedrückt. Wörtlich heißt es da:

 

„Bis also der Herr kommt in seiner Majestät und alle Engel mit ihm und nach der Vernichtung des Todes ihm alles unterworfen ist, pilgern die einen von seinen Jüngern auf Erden, die anderen sind aus diesem Leben geschieden und werden gereinigt, wieder andere sind verherrlicht und schauen ‚klar den dreieinen Gott wie er ist‘. Wir alle jedoch haben, wenn auch in verschiedenem Grad und auf verschiedene Weise, Gemeinschaft in derselben Gottes- und Nächstenliebe und singen unserem Gott denselben Lobgesang der Herrlichkeit. Alle nämlich, die Christus zugehören und seinen Geist haben, wachsen zu der einen Kirche zusammen und sind in ihm miteinander verbunden.. (Lumen gentium 49).

 

Wir haben Gemeinschaft in derselben Gottes- und Nächstenliebe und singen unserem Gott denselben Lobgesang der Herrlichkeit. Das gilt gerade jetzt in dieser Stunde, wenn wir die Lichtermesse feiern. Wir tun es nicht als Folklore, nicht als frommes Theater, sondern als Ausdruck unseres Glaubens, als pilgernde Kirche, die sich bewusst ist, dass uns schon viele im Glauben vorausgegangen sind und wir in einer großen Gemeinschaft unterwegs sind. Die Kirche hier auf Erden ist mit der Kirche des Himmels unauflöslich verbunden. Das ist und bleibt unsere feste Überzeugung als Christen.

 

Liebe Schwestern und Brüder, beim 25-jährigen Jubiläum der Saliergesellschaft wollte ich in diesem Jahr bewusst keine einzelne Person vorstellen, sondern im Blick auf die Stuhlbrüder eine Gemeinschaft, die jahrhundertelang das Gedenken an die Salier gepflegt hat. Auch wenn die Saliergesellschaft nicht die Fortsetzung der Stuhlbrüder darstellt, pflegt sie doch auch auf ihre Weise dieses Gedenken. Dafür sind wir – der Bischof und das Domkapitel – sehr dankbar.

 

Liebe Mitglieder der Saliergesellschaft, Sie unterstreichen mit Ihrem Engagement, dass wir unsere Gegenwart nur verstehen und unsre Zukunft nur gestalten können, wenn wir die Vergangenheit kennen. Vielleicht wird Ihre Gesellschaft keine 600 Jahre alt wie die Einrichtung der Stuhlbrüder – vielleicht aber doch. Jedenfalls wünsche ich Ihnen für die nächsten 25 Jahre weiterhin viel Freude und Erfolg und Gottes reichen Segen! Und gern feiere ich dann Ihr 50-jähriges Jubiläum mit – sei es in der irdischen Kirche oder in der Kirche des Himmels.

 

 

Josef D. Szuba

 

 

 

Quellen:

Gütermann Sven, Die Stuhlbrüder des Speyerer Domstifts. Betbrüder, Kirchendiener und Almosener des       Reichs. Hrsg. vom Institut für Personengeschichte, Bensheim 2014;

Ders.,“Hoc facite in nostram commemorationem“: die Stuhlbrüder des Speyerer Domstifts. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte Bd. 62, 2010, S. 25-85;

Struve Tilmann, Der „gute“ Heinrich IV. Heinrich IV. im Lichte der Verteidiger des salischen Herrschersystems. In: Althoff Gerd, Heinrich IV. - Vorträge und Forschungen,  Ostfildern 2009;

Jungmann Josef Andreas. Christliches Beten in Wandel und Bestand, Freiburg 1991.

 

 

 

 

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