südseiteklein.jpgPredigt zum Privilegienfest 2008

Otto von Freising

Krone33.jpgSalier

Gesellschaft e.V.

 

Predigt anlässlich des Privilegienfestes am 2. August 2008 im Speyerer Dom

 

Liebe Schwestern und Brüder,

die Person, um die es mir heute geht, beschreibt der berühmte zeitgenössische Schriftsteller Umberto Eco in einem seiner Romane mit folgenden Worten: „Otto war noch nicht fünfzig, wirkte aber fast doppelt so alt. Immer ein bisschen hüstelnd, geplagt von täglich wechselnden Zipperlein, mal Hüft-, mal Rückenschmerzen, dazu ein Blasensteinleiden, auch etwas triefäugig wegen des vielen Lesens und Schreibens, dem er sowohl im Licht der Sonne wie auch in dem einer Lampe oblag. Überaus reizbar, wie es bei Gichtkranken häufig vorkommt…, im Grunde ein herzensguter Mann…“

 

Wen beschreibt Eco hier in seinem Schelmenroman „Baudolino“? Es handelt sich bei dieser Person um den wichtigsten Geschichtsschreiber des Hochmittelalters: Bischof Otto von Freising. Er spielt in Ecos Roman eine wichtige Rolle, wenngleich zugegebenermaßen Eco – wir kennen ihn ja – mit der Geschichte sehr spielerisch umgeht und seiner Fantasie völlig freien Lauf lässt.

 

Mir geht es also heute um diesen Bischof Otto von Freising, der vor genau 850 Jahren gestorben ist. Er hängt mit der Geschichte der Salier, derer wir heute gedenken, ganz eng zusammen. Doch dazu muss ich zu Beginn etwas ausholen und zunächst einmal seine Familiengeschichte und seinen Stammbaum darstellen. Denn Otto ist nicht nur verwandt mit dem Geschlecht der Salier, sondern auch mit dem Geschlecht der Staufer. Er ist nicht mehr und nicht weniger als der Enkel Heinrichs IV., damit der Neffe Heinrichs V., ein Halbbruder von Konrad III., dem ersten Stauferkönig, so auch ein Onkel Friedrich Barbarossas, dessen Frau Beatrix hier im Dom begraben liegt. Die prunkvolle Hochzeit Friedrichs mit Beatrix 1156 in Würzburg  - so berichten die Quellen - hat auch Otto mitgefeiert. Otto ist daher auch ein Großonkel von Philipp von Schwaben, der ebenfalls hier im Dom seine letzte Ruhestätte gefunden hat, nachdem er vor 800 Jahren in Bamberg ermordet wurde.

 

Aber jetzt erst einmal der Reihe nach: Heinrich IV. und seine Frau Berta hatten eine Tochter namens Agnes, genannt Agnes von Waiblingen.  Sie wurde zuerst vermählt mit einem Staufen,

nämlich Herzog Friedrich von Schwaben. Einer ihrer Söhne aus dieser ersten Ehe war der spätere König Konrad III. Als Friedrich starb, wurde sie im Rahmen der Heiratspolitik ihres Bruders  - also Heinrichs V. - erneut vermählt und zwar mit dem Babenberger Markgrafen Leopold III., der in Klosterneuburg bei Wien residierte. Es ist Leopold der Heilige, der in Österreich als Landespatron verehrt wird. Sein Gedenktag, der 15. November, wird bis zum heutigen Tag in Österreich als staatlicher Feiertag begangen. 

 

Markgraf Leopold heiratet also im Jahr 1105 die Tochter des Kaisers Heinrich. Diese Ehe ist sehr kinderreich. Das sechste Kind, Otto, geboren um das Jahr 1112 vermutlich in Klosterneuburg, wird früh für den geistlichen Stand bestimmt. Er soll einmal das Stift Klosterneuburg als Propst übernehmen. Dazu muss er eine gediegene und solide Ausbildung bekommen. Er wird im Jahre 1126 mit einigen Gefährten nach Paris geschickt. Dort befindet sich damals die beste Ausbildungsstätte für Theologie. Einer seiner Lehrer ist der berühmte Hugo von St. Viktor. Nach fünf Jahren hat Otto seine Ausbildung beendet und will nach Hause zurückkehren. Unterwegs macht er mit 15 seiner Gefährten Halt  in einem Zisterzienserkloster in der Champagne. Es trägt den Namen Morimund. Darin steckt das lateinische „mori mundo“-  wörtlich: „Stirb der Welt!“, sinngemäß: „Entsage der Welt!“

 

Das Programm der Zisterzienser wird da mit einem Wort ausgedrückt. Durch Gebet und Askese will man ein Leben führen, in dem man Gott nahe kommt. Das Irdische kann dabei nur Mittel zum Zweck sein. Man darf sich dadurch nicht vom eigentlichen Ziel ablenken lassen. Otto ist so fasziniert von dem Geist der Zisterzienser, dass er seine Lebensplanung radikal ändert. Er beschließt mit seinen Gefährten, nicht mehr zurückzukehren, sondern als Mönch in das Kloster Morimund einzutreten. Offensichtlich muss sein Vater diesen Entschluss wohl oder übel akzeptieren.

 

Otto ist so begeistert von der Lebensweise der Zisterzienser, dass er seinen Vater drängt, ein eigenes Kloster für diesen neuen Orden zu errichten. So gründet Leopold im Jahr 1133 das Stift Heiligenkreuz im Wienerwald, ein Kloster, das bis heute besteht und erfreulicherweise zurzeit wieder großen Zulauf hat. (Nur nebenbei sei bemerkt, dass der Choralgesang der Zisterzienser von Heiligenkreuz vor kurzem die Charts stürmte. Unter dem Titel „music for paradiese“ wird ihr meditativer Gesang zurzeit hunderttausendfach verkauft.)

 

Aber zurück zu Otto. Anscheinend hat sich der Grafensohn als einfacher Mönch derart bewährt, dass er nach wenigen Jahren zum Abt des Klosters gewählt wird. Doch kann er dieses Amt nur einige Monate ausüben. Denn inzwischen ist der deutsche Kaiser Lothar von Supplinburg gestorben. Auf den Thron kommt als sein Nachfolger Konrad III., also der Halbbruder Ottos.

 

Als eine seiner ersten Aufgaben muss Konrad den Bischofsstuhl von Freising besetzen, der gerade vakant geworden war. Vermutlich konnte sich das Domkapitel in Freising nicht auf einen Kandidaten einigen und trug an König Konrad die Bitte heran, ihnen einen Kandidaten zu benennen. Offensichtlich hatte Konrad von seinem Halbbruder Otto eine gute Meinung. Zudem brauchte er gegenüber dem welfischen Herzog von Bayern - kein geringerer als Heinrich der Löwe -  einen starken Nachbarn.

 

Otto nimmt die Ernennung an. Er ist damit der erste Zisterzienser in der noch jungen Geschichte des Ordens, der das Bischofsamt übernimmt. Zeitlebens trägt er unter seinem bischöflichen Ornat die raue Mönchskutte. Er zieht in die sicher damals bescheidene Residenz auf den Burgberg in Freising. Damals stand dort schon ein romanischer Dom, ebenfalls eine Marienkirche. Übrigens findet sich heute auf dem Domplatz in Freising eine Statue Ottos, dargestellt in bischöflicher Kleidung und mit einem Buch, das ihn als Schriftsteller ausweist.

 

Otto von Freising übernimmt ein heruntergekommenes Bistum. Er bemüht sich tatkräftig um die Erneuerung des kirchlichen Lebens. Den Klöstern Schäftlarn, Schlehdorf und Innichen gibt er eine neue Ordnung. Die Klöster Schliersee und Neustift bei Freising gründet er neu. Zugleich ist er aber auch Reichsfürst und hat er die vielfältigen Pflichten eines Landesherrn. Auch darüber sind eine Menge Zeugnisse überliefert. Unter anderem findet sich in den Archiven eine Urkunde, die bezeugt, dass Otto in Freising einen Rechtsstreit der Gastwirte und Bierbrauer mit dem Kloster Weihenstephan schlichten muss.

 

Interessanterweise fällt in sein Wirken das Gründungsdatum der Stadt München  – allerdings ist er in dieser Geschichte leider der Verlierer. Der Hergang ist schnell erzählt: Dem Bischof von Freising gehörte eine Brücke über die Isar bei Föhring. Dort wurde Markt gehalten, wurden Münzen geprägt und Zoll eingenommen. Das Geld floss natürlich in die Kasse des Bischofs. Heinrich der Löwe, der Herzog von Bayern, neidete ihm diese Einnahmen. In einer Nacht- und Nebelaktion ließ Heinrich die Brücke zerstören. Gleichzeitig ließ er etwas weiter südlich bei einem Dörfchen bei den Munichen (also bei den Mönchen - einer Ansiedlung von Mönchen von Tegernsee) eine neue Brücke über die Isar schlagen, so dass er nun selbst Zoll einnehmen konnte. Otto wollte nicht klein beigeben und beschwerte sich bei Kaiser Friedrich Barbarossa.  Auf einem Reichstag in Augsburg im Juni 1158 - es war kurz vor dem Tod Ottos – kam es zu dem berühmten „Augsburger Schied“. Der Beschluss des Kaisers sollte die beiden bayerischen Reichsfürsten wieder miteinander versöhnen. Zollbrücke, Markt und Münze sollten in Föhring nicht mehr bestehen. Die neue herzogliche Brücke bei Munichen sollte nun als Zollstätte dienen. Allerdings musste ein Drittel der Erträge an den Bischof von Freising abgeführt werden. Die Folgen der herzoglichen Gewalttat wurden also legalisiert. Otto hatte dabei das Nachsehen, musste sich aber fügen. Der Augsburger Schied gilt seitdem als Datum für die Gründung der Stadt München. Und so hat sie gerade vor wenigen Wochen ihren 850. Geburtstag gefeiert.

 

Die Bedeutung Ottos von Freising beruht allerdings auf ganz anderen Verdiensten. 1143 beginnt er ein groß angelegtes Geschichtswerk: die Chronica oder Historia de duabus civitatibus, die Geschichte der beiden Staaten – also nach Augustinus das Miteinander und Gegeneinander des Gottesstaates und der weltlichen Herrschaft, eine Weltgeschichte in acht Bücher. Die Chronik schildert die Geschichte der Welt von der Erschaffung Adams bis zu Ottos eigener Gegenwart. Darin beschreibt er auch viele Ereignisse, deren Zeuge er war. Trotzdem bleibt er bescheiden im Hintergrund, und spricht von sich lediglich in der dritten Person. Zugleich war ja die jüngere Geschichte die Geschichte seiner unmittelbaren Vorfahren. So zitiert er auch die ersten Zeilen des ergreifenden Briefs, den Heinrich IV. nach der Absetzung durch seinen Sohn an Philipp, den König von Frankreich, geschrieben hat. Darin beklagt Heinrich IV., wie er von seinem Sohn entmachtet und gezwungen wurde, ihm die Reichskleinodien auszuliefern. Übrigens findet sich in einer Handschrift der Chronik, die in der Universitätsbibliothek von Jena aufbewahrt wird, auch eine schöne Federzeichnung (sozusagen ein mittelalterlicher Comic). Die Zeichnung zeigt die Krönung Heinrichs IV. durch den Gegenpapst Clemens. Dann das Schicksal des richtigen Papstes Gregor, der erst in die Verbannung nach Salerno getrieben wird und dort stirbt. Das letzte Bild zeigt, wie Gregor von zwei Bischöfen betrauert wird.

Wörtlich zitieren möchte ich die kurze Passage, in der Otto den Tod Heinrichs V., also seines Onkels, beschreibt, dem Speyer ja seine Privilegien verdankt. „Als alles wohl bestellt war, wollte Kaiser Heinrich auf den Rat seines Schwiegersohns, des Königs von England, das ganze Reich steuerpflichtig machen. Er zog sich dadurch aber den tiefen Hass der Fürsten zu. Um diesen neuen Unfrieden beizulegen, wollte er nach dem Niederrhein ziehen, erkrankte aber in Utrecht und starb dort im 19. Jahr seines Königtums, im 14. seines Kaisertums. Von Utrecht wurde sein Leib über Köln nach Speyer gebracht, wo er neben seinem Vater, Großvater und Urgroßvater, den Kaisern mit höchstem Prunk beigesetzt wurde.“ Manche Forscher vermuten,  dass Otto möglicherweise als etwa 13-Jähriger mit seiner Mutter damals an der Beisetzung seines Onkels hier in Speyer teilgenommen hat.

 

Mit König  Konrad III., dem ersten Staufer auf dem Königsthron, macht sich Otto übrigens auch auf als Teilnehmer des 2. missglückten Kreuzzugs, der hier im Dom mit der Predigt Bernhards von Clairvaux an Weihnachten 1146 seinen verhängnisvollen Anfang nahm. Otto erreicht zwar Jerusalem und besucht die heiligen Stätten. Aber viele seiner Begleiter finden unterwegs den Tod. Nicht zuletzt durch diese Erfahrung des Scheiterns erkennt Otto, wie brüchig und vergänglich alles menschliche Streben letztlich ist. Als Chronist verbindet er immer wieder die geschichtlichen Fakten mit einer theologischen Deutung. So schreibt er im Blick auf den Aufstieg und Niedergang der verschiedenen Könige und Kaiser:

 

Vor Gott, dem Allmächtigen, ist nichts verborgen, er sieht arm und reich und erkennt hoch und niedrig. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Unterdrückten… Das Schicksal der irdischen Dinge… sollte uns anspornen, den Hochmut zu meiden und nach Demut zu trachten. Und was lehrt uns das unglückselige Geschick des Menschen, das ihn bald vom Bettelstab zur Königskrone emporhebt, bald von der Königskrone zum Bettelstab hinabstürzt und ihn quält, (was lehrt es uns anderes) als Verachtung der Welt und Sehnsucht nach dem himmlischen Reich, in dem sich nichts ändert noch vergeht.“ (VII,24)

 

Sein Neffe Friedrich Barbarossa, der 1152 König wird, beauftragt Otto mit der Abfassung eines zweiten Geschichtswerks. Er soll nun die Familiengeschichte der Staufer darstellen. Wenige Jahre vor seinem Tod übernimmt Otto diese Aufgabe. Dieses zweite Geschichtswerk trägt den Titel „Gesta Frederici“ („die Taten Friedrichs“). Der erste Teil beginnt 1076 mit der Bannung Heinrichs durch Papst Gregor. Am Anfang des zweiten Buches, das Otto nicht mehr ganz fertig stellen konnte, steht die Krönung Barbarossas zum deutschen König. Dabei schildert Otto die Geschehnisse um so detaillreicher, je näher er zeitlich selbst den Ereignissen ist.

 

Im Alter von nur 46 Jahren, am 22. September 1158, stirbt Otto auf der Reise nach Citeaux, zum Generalkapitel seines Ordens, in seinem Professkloster Morimund.  Nahe beim Hochaltar der Abteikirche von Morimond erhielt er sein Grab. Der symbolische Name des Klosters „Stirb der Welt!“ findet für ihn hier seine buchstäbliche Erfüllung. Im Gefolge der Französischen Revolution wurde die Klosteranlage fast vollständig zerstört. Sein Grab ist seitdem verschollen.

 

Otto von Freising war eine wahrhaft europäische Gestalt. Er hat buchstäblich Geschichte geschrieben: Ein Babenberger mit salischen Wurzeln und Verwandtschaft zu den Staufern, ein Mönch und Bischof, ein Reichsfürst und Chronist. Er hat buchstäblich und im übertragenen Sinne Geschichte geschrieben. In Österreich und im Erzbistum München-Freising wird er als Seliger verehrt. Anlässlich seines Todes vor 850 Jahren begeht die Erzdiözese München-Freising ein ihm gewidmetes Gedenkjahr.

 

Papst Benedikt XVI. kam bei seinem Österreichbesuch im vergangenen Jahr auch ins Stift Heiligenkreuz, dem inzwischen eine päpstliche Hochschule angegliedert ist. Bei seiner Predigt in der Klosterkirche kam er auch auf Bischof Otto von Freising zu sprechen. Als ehemaliger Erzbischof von München-Freising ist er ja selbst ein Nachfolger auf dem Bischofsstuhl Ottos gewesen. In wenigen Worten gibt Papst Benedikt eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Ziel der Geschichte. Seine Überlegungen sehe ich als Fortsetzung der Geschichtsdeutung des Weltchronisten Otto. Er beantwortet damit eine Frage, die uns alle irgendwie bedrängt und an der keiner vorbeikommt. Was gibt uns – auch persönlich - Hoffnung und Zuversicht, wenn die große und kleine Geschichte letztlich nur zeigt, wie unbeständig und unberechenbar unser Leben ist, wenn es nichts anderes zu sein scheint als ein ständiges, unvorhersehbares Auf und Ab? Daher möchte ich die eindringlichen Worte des Papstes an den Schluss stellen:

 

„Jeder Mensch trägt im Innersten seines Herzens die Sehnsucht nach der letzten Erfüllung, nach dem höchsten Glück, also letztlich nach Gott, sei es bewusst oder unbewusst. Gott, der Schöpfer, hat uns Menschen nicht in eine beängstigende Finsternis gesetzt, wo wir verzweifelt den letzten Sinngrund suchen und ertasten müssten (vgl. Apg 17,27); Gott hat uns nicht in einer sinnleeren Wüste des Nichts ausgesetzt, wo letztens nur der Tod auf uns wartet. Nein! Gott hat unsere Dunkelheit durch sein Licht hell gemacht, durch seinen Sohn Jesus Christus. … Noch viel mehr als wir Menschen Gott je suchen und ersehnen können, sind wir schon zuvor von ihm gesucht und ersehnt, ja gefunden und erlöst! Der Blick der Menschen aller Zeiten und Völker, aller Philosophien, Religionen und Kulturen trifft zuletzt auf die weit geöffneten Augen des gekreuzigten und auferstandenen Sohnes Gottes; sein geöffnetes Herz ist die Fülle der Liebe. Die Augen Christi sind der Blick des liebenden Gottes.“

 

Gott hat unsere Dunkelheit durch sein Licht hell gemacht, durch seinen Sohn Jesus Christus. Nicht mehr und nicht weniger als dieses Licht der Hoffnung feiern wir, liebe Brüder und Schwestern, wenn wir heute hier in der Krypta des Domes zur Lichtermesse zusammenkommen.

 

Josef D. Szuba

 

 

Zurück zum Seitenanfang                                   Zurück zu Privilegienfest