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Gesellschaft
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Gauner - Richter – Blutgericht
Oh, oh finsteres Mittelalter! Bald würde die Dämmerung einsetzen, das
typische Speyerer Straßenpflaster der Hauptstraße (eine Zumutung für jeden
eleganten Schuh), gab noch viel von der gespeicherten Hitze zurück. Wir drei Weibersleut begaben ums eiligen
Schrittes zum vereinbarten Treffpunkt, dem Domnapf. Der Domnapf ist ein uraltes Symbol,
Grenzaltertum und Wahrzeichen der freien Stadt Speyer. Im Stadtarchiv befindet
sich noch die Richterverordnung aus dem Jahre 1314. Wer als Straffälliger
den Domnapf erreichte, war der Gerichtsbarkeit der Stadt entflohen. Das galt
natürlich auch umgekehrt, also wenn ein kirchliches Mitglied gesündigt hatte,
war es nach Passieren des Domnapfes der Gerichtsbarkeit der Stadt
unterworfen. Na, was da wohl manchmal das Bessere war? Bereits als wir auf der Höhe des Stadthauses
liefen, sahen wir viel munteres Volk vor dem Dom versammelt, was unsere
Schritte immens beschleunigte. Einundzwanzig Uhr dreißig hat es geheißen - und
wir waren sogar pünktlich. Die Nachtführung konnte beginnen. Zwei mutige Männer wagten mit uns eine
Zeitreise ins Mittelalter. Sie wollten uns Heutigen einige gar
fürchterliche Untaten und Verbrechen schildern, wie sie sich vor Jahrhunderten
in dieser Stadt zugetragen hatten. Vor uns, auf den Domtreppen, stand eine große
imposante Person, gekleidet in einen langen, schwarzen Ratsherrenmantel mit
schneeweißer Halskrause. Er stellte sich als Ratsherr Werner von der Lau
vor. Neben ihm ein lebhafter Mann im Mönchsgewand, Pater Remigius, allzeit
bereit das Wort Gottes zu verkünden.. Beide Herren, Mitglieder
unserer Gesellschaft, mit bürgerlichem Namen Werner Lau und Dieter Kleiner.
Und dreizehn Salier waren gekommen, um an der Führung teilzunehmen. Sofort mussten wir der neuen Verordnung der
freien Reichsstadt Rechnung tragen und als Nachtgänger ein Licht mit uns
führen. Ob als Stadtbewohner oder Gast, wer ohne Licht angetroffen wurde,
hatte mit erheblichen Strafen zu rechnen. Und schon ging es zur ersten schröckliche Tat:
Als Albrecht von Musbach am Karfreitag zur Mette gehen wollte, wurde er
meuchlings überfallen und auf heimtückische und grausame Weise getötet. „Ein
Stich ins Herz, zwei Stiche in den Rücken und noch mehrere in die Seiten.
Der Hals wurde ihm durchschnitten wie einem Lamm. Die rechte Hand wurde
doppelt verwundet, die linke aber gänzlich abgeschnitten. Noch zwei Stiche in
die Schläfe, so dass das Gehirn auslief. Dies wurde von frei laufenden
Schweinen gierig geschlürft, ehe man die Leiche beseitigen konnte. Der (die) Mörder wurde(n) nie gefasst.
Vielleicht kommt uns heute Kommissar Zufall zu Hilfe und die Gerechtigkeit
kann noch ihren Lauf nehmen. Die Konsequenz damals: Fortan ging kein höherer
Geistlicher ohne Begleitung eines Kammerknechtes, mit brennender Fackel, bei
Dunkelheit auf die Straße. Gut zu hören, dass uns Pater Remigius bei der
Abendandacht alle in sein Gebet eingeschlossen hat. So waren wir gefeit
vor den Gefahren, die von zwielichtigen Männern und liederlichen Weibspersonen
ausgehen. Diese haben sich in der Stadt, die durch kluges Handeln und den
Fleiß ihrer Bewohner im Laufe der Jahre zu beträchtlichem Wohlstand gekommen
war, natürlich auch eingefunden. Da war zum Beispiel Sybilla, eine Fraue aus
Nürnberg. Sie hat sich nicht gescheut bei Jedermann zu klauen, ihr Diebesgut
dann zu verkaufen und das erlöste Geld mit anderen Dirnen zu versaufen. Auch
ihren Körper hat sie verkauft und soll sogar in das Bett eines Pfaffen geschlüpft
sein. Solch Unwesen wird vom Rat der Stadt nicht geduldet! Ratsherr von der
Lau verkündet den Richtspruch: Die Delinquentin wird in einen Sack genäht und
in die Fluten des Rheines geworfen! Zur Abschreckung nach dem Motto: „Der
Dieb wird gehenket, die Dirn wird ertränket.“ Vor der Wohnstatt des Bischofs angekommen wird
berichtet, dass die Gefährtinnen jener besagten Sybilla hier sangen und nur
leicht bekleidet tanzten. Eine harte Prüfung für Bischof und Klerus. Aber
auch vor dem Haus des Rates soll dieses ungebührliche Treiben stattgefunden
haben. Ob vielleicht ein Ratsherr der Versuchung
erlag? Nichts da: „Das Hurengesindel wurde erst in den
Turm gesetzt und dann aus der Stadt gejagt“, so Ratsherr von der Lau.
außerdem, so der Ratsherr, hat jeder von uns ein Weib zu Haus. Darauf der Mönch leicht anzüglich: „Aber, habe
ich Euch nicht oftmals unter dem ehelichen Joche stöhnen hören?“ Drauf der Ratherr: „Ihr Bruder, könnt’s nicht
wissen, aber alle hier werden mir beipflichten: Die Ehe ist von Übel, sie ist ein unerträglich
Joch – sie ist, sagt man, wie eine Zwiebel, man weint bei ihr und isst sie
doch.“ Beim Gang in den Hasenpfuhl kurzer Halt auf der
Sonnenbrücke über den Speyerbach. Was könnte dieser Bach erzählen? Wie viel
Leid, Blut und Tränen haben sich in ihn ergossen? Wie viele neugeborene
Kindlein und andere unliebsame Geschöpfe wurden hier ertränkt? An der Pforte des Klosters St. Magdalena, 1227
als Reuerinnenkloster für gefallene Frauen gegründet, murmelt Remigius etwas
von Reue und Buße um zum Heil zu gelangen. An einer kleinen Gasse, die zum Bach führt,
wird von einem weiteren Verbrechen berichtet: Dorothea Nicolasin hat
gestanden hier sechs ihrer sieben Kinder ins Wasser geworfen zu haben.
Kindsvater des Überlebenden soll ein Pfaffe gewesen sein. Er hätte ihr das
Ungeborene wegmachen wollen, mit allerlei Kräutlein – aber vergebens. Auf dem weiteren Weg wird zur Vorsicht gemahnt,
die Laternenträger sollten das Licht höher halte, damit niemand zu Schaden
kommt. Ganz nebenbei erfahren wir vom Ratsherren, dass Frauen wegen bösartigem
Geschwätz oder sonstiger scharfzüngiger Reden, einen Lästerstein sichtbar
auf dem Gewand tragen mussten und zum
Gespött der Schaulustigen vom Domnapf zum Altpörtel zu laufen hatten. Wegen
der vielen bösartigen geschwätzigen Weiber soll zeitweise ein Mangel an Lästersteinen
bestanden haben. Am Holzmarkt erfahren wir wie eine bis dahin
ehrbare Frau ihren braven Ehemann ins Jenseits beförderte. Zuerst verabreichte
sie ihm, ins Kraut gemischt, zerquetschte Würmer. Als dies nicht zum
gewünschter Erfolg führte, tat sie ein Pulver in sein Bratwurstfüllsel. „Das
Pulver war ein Mittel gegen Ratten, allein sie gab es ihrem Gatten.“ Das gerechte Urteil gegen die eiskalte
Mörderin: Ab in den Sack und dann in den Fluss. Alle Ratsherren mussten schwören der Stadt treu
zu dienen und Schaden von ihr abzuwenden berichteten Ratsherr und Mönch. Als
der Ratsherr Michael Keller das Vertrauen der Bürger missbraucht und Geld veruntreut hat, konnte das Urteil nur
lauten „Tod durch das Schwert.“ Das Urteil wurde auf dem Fischmarkt
vollstreckt. Um allzu großes Aufsehen zu vermeiden im Morgengrauen. Herr von
der Lau: „War eyn groß Schand für die Stadt.“ „Der gemeine Mann wird vor aller Augen
hingerichtet, der Ratsherr soll nicht erkannt werden“, so Bruder Remigius,
“aber lasset uns den Mantel der christlichen Nächstenliebe darüber breiten.“ Beim weiteren Gang durch die Hahnengasse die
Johannisstraße und die Bechergasse schilderte der Mönch den damaligen
Zustand dieser Gassen. Sie waren total verschmutzt, knöcheltief waren
Unrat und Kot. und der Inhalt aller möglichen Töpfe und Pfannen wurde einfach
durch die Fenster auf die Gasse entsorgt. Weiter hören wir von Quacksalbern und
Scharlatanen, von unehrlichen Hausierern, Vaganten ganzen Bettelheeren und schlimmen
Raufbolden. So wollte z.B. ein gewisser Bernhard Koch allen Leuten, die ihm
nicht genehm waren, den Kopf oder andere Glieder mit dem Beil abschlagen. Pater Remigius
berichtete von einem Dieb, der im Kloster St. Ludwig Asyl gefunden hatte.
Obwohl das Kloster streng bewacht wurde konnte der Dieb – als Nonne
verkleidet – entkommen. Pater Remigius warf einen listigen, leicht triumphierenden
Blick auf den gefoppten Ratsherrn und gestand, dass die Klosterbrüder alle
herzlich gelacht hätten ob dieses gelungenen Streiches. Des weiteren haben wir etwas über die
Hübschlerinnen erfahren, die in der reich gewordenen Stadt ihr Auskommen
fanden. Gerade als unser rechtschaffener Ratsherr, in
der Nähe der „Schwarzamsel“ von einer neuen Schandtat berichten wollte,
winkte uns ein hübsches Mädchen aus dem Obergeschoss zu. Noch ehe wir den
freundlichen Gruß erwidern konnten, trat unser gottesfürchtiger Bruder
Remigius auf den Plan: „Gott zum Gruße, liebes Kind, soll ich eiligst
raufkommen und dir die Beichte abnehmen?“ Lachend erwiderte die kesse Maid, sie habe
keine Sünden. Pater Remigius, ganz Gottesmann, entgegnete: „Meine Tochter,
jeder hat etwas zu beichten“ Unter Gelächter ging es weiter. Wie dieser ungeplante Zwischenfall zeigt,
hatten die beiden Akteure die Situation jederzeit im Griff, wunderbar wie
sie zusammen arbeiteten und sich die Bälle gegenseitig zuwarfen. Noch viele Namen von Missetätern wurden
genannt und noch vieles gäbe es zu erzählen. Aber bitte liebe Salier geht
einfach selbst einmal mit, dann wisst ihr mehr. Wir gelangtem zum Endpunkt unseres Streifzuges,
zum Altpörtel. Es ist nicht nur ein Torturm aus dem 13. Jahrhundert, es war
bis 1837 auch Gefängnis und Kerker. Wir konnten die Gefängniszelle
bestaunen, und ein leichtes Schaudern verbreiteten die vielen
Folterinstrumente. Da ist ein Richtschwert aus dem 18. Jahrhundert, ein
großes und ein kleines Beil, Brandeisen und viele Zangen. Und natürlich
fielen uns beim Lästerstein sofort ein paar Leute ein, die wir damit gerne
einmal auf der Hauptstraße sehen würden. Hier nun endete die kurzweilige Führung. Mit heftigem Beifall
bedankte sich die Gruppe bei dem Ratsherrn Werner von der Lau und bei Bruder
Remigius, die nun wieder ganz bürgerlich als Werner Lau und Dieter Kleiner
im 21. Jahrhundert angekommen waren. Wir begleiteten die Herren zurück und trugen
als gemeines Fußvolk die Laternen. Dabei wurden die beiden Zeitreisenden in
ihren historischen Gewändern auf der Maximilianstraße neugierig bestaunt.
Sogar die heutigen Hüter von Recht und Ordnung stoppten ihr Polizeiauto und
interessierten sich für die nächtlichen Gestalten mit ihren Laternenträgern. Bei einem kühlen Bier im Domhof mit den beiden
Akteuren klang dieser schöne Abend aus. Zum Abschluss bleibt nur noch, dem edlen
Ratsherr Werner von der Lau und dem gottesfürchtigen Bruder Remigius unser
herzlichstes Dankeschön auszusprechen. Lilo
Schweickert |