südseiteklein.jpgPredigt zum Privilegienfest 2010

Die heilige Afra

Krone33.jpgSalier

Gesellschaft e.V.

 

Die heilige Afra - Predigt zur Lichtermesse am 7. August 2010 von DK J. D. Szuba

 

„Wenn dir vergönnt ist, über die Flüsse der Barbaren zu kommen,

so dass Du friedlich den Rhein  überqueren kannst und die Donau,

ziehst du nach Augsburg, wo Lech und Wertach hinfließen;

dort verehre die Gebeine der heiligen Märtyrin Afra.“

 

Diese Worte stammen von dem Dichter Venantius Fortunatus. Er unternimmt im Jahr 565 von Ravenna aus eine Wallfahrt  nach Gallien zum Grab des heiligen Martin von Tours.  Anschließend lässt er sich dort nieder. Einige Zeit später wird er Bischof von Poitiers und stirbt um das Jahr 600. Ventantius Fortunatus verfasst eine  Lebensbeschreibung des hl. Martin als Gedichtzyklus und spricht am Ende mit den zitierten Worten sein Buch selbst an. Es soll den umgekehrten Reiseweg gehen, den er selbst einst angetreten hat: Auf dem Weg durch Süddeutschland versäume es auf keinen Fall, so ermahnt der Dichter sein Buch,  die »ossa sacrae ... martyris Afrae« zu verehren, die Gebeine der heiligen Märtyrin Afra.

 

Heute ist der Gedenktag der hl. Afra. Zugleich ist es exakt der Todestag Heinrichs IV. Er starb am 7. August 1106 in Lüttich, heute vor 904 Jahren. Zunächst wurde sein Leichnam nach Speyer gebracht  und - wie wir alle wissen – vorläufig in der Afrakapelle bestattet, bis 1111 der Bann aufgehoben wurde.  Die Übertragung seiner Gebeine in den Dom erfolgte  - so zumindest nach einigen Quellen - wiederum am Gedenktag der hl. Afra.

 

Wer war diese Afra, nach der die heutige Werktagskapelle des Dom benannt ist? Dieser Frage will ich heute nachgehen. Der historische Befund ist schnell erzählt, so weit er sich aus den Quellen herleiten lässt. Umso facettenreicher und faszinierender ist die große Wirkungsgeschichte dieser Heiligen.

 

Um die Wende zum 4. Jahrhundert lebt in Augsburg eine Christin mit dem Namen Afra. Ihr Name könnte darauf hinweisen, dass Afra (»die Afrikanerin«) aus Afrika stammte. Es ist die Zeit des römischen Kaisers Diokletian. Offenbar erleidet sie um 304 im Zuge der Christenverfolgungen zusammen mit anderen einen gewaltsamen Tod. Das Martyrium der Christin Afra zählt zu den frühesten christlichen Glaubenszeugnissen nördlich der Alpen. Sehr bald beginnt ihre Verehrung. Eine kleine, aber lebendige  christliche Gemeinde hält das Andenken an ihr Martyrium wach. Die Afra-Kultstätte lag ursprünglich wohl in einem großen Gräberfeld. Sehr bald wird dort eine Kirche zu Ehren der Heiligen erbaut. Auch im so genannten »Martyrologium Hieronymianum« aus dem 6. Jahrhundert - eine Art Heiligenkalender - findet sich ein Hinweis auf Afras gewaltsamen Tod.

 

Im 8. Jahrhundert wird nun das wenige das man über die hl. Afra weiß, legendär ausgeschmückt. Es entsteht eine fantasievolle und symbolträchtige Legende über die Conversio und die Passio, über die Bekehrung und über die Leidensgeschichte der hl. Afra. Im »Martyrologium Hieronymianum« findet sich bei dem Namen »Afra« der Begriff »Veneria«. Dies hat man auf Afra bezogen und als Hinweis auf ihren Beruf gedeutet. Danach war Afra als Veneria eine Venusdienerin, also eine Liebesdienerin, nichts anderes als eine Prostituierte.

 

Folgendes erzählt nun die Legende von ihrer Bekehrung: Afra kommt zusammen mit ihrer Mutter Hilaria und einigen Begleiterinnen in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts von Zypern nach Augsburg. Dort gehen sie ihrem besagten Beruf als Liebesdienerinnen nach. Während der Christenverfolgung des Diokletian kommt nun ein Bischof Narzissus mit seinem Diakon Felix in die Stadt. Sie befinden sich auf der Flucht und suchen ein Quartier. Ganz arglos bitten sie um Einlass in Afras Herberge. Sie hält die beiden natürlich für Kunden ihres Etablissements, die ihre Liebesdienste in Anspruch nehmen wollen. Zunächst richtet sie aber gastfreundlich das Abendessen. Vor dem Essen nun betet und psalmodiert der Bischof. Afra hat so etwas noch nie gehört oder gesehen und erkundigt sich nach dem Beruf des Gastes. Narzissus bekennt sich sofort frank und frei als Bischof der Christen. Darauf offenbart auch Afra ihr Gewerbe. Narzissus lässt sich davon nicht abschrecken, sondern antwortet mit einem bemerkenswerten Bild: „Christus“, so sagt er, „kann durch die Berührung mit Schmutz und Schande nicht befleckt werden. Ebenso wie das Sonnenlicht, wenn es schmutzige Orte bescheint, rein und strahlend wieder zum Himmel zurückkehrt.“

 

Dann folgt das so genannte Lichtwunder: Sie unterhalten sich die ganze Nacht hindurch. Narzissus erklärt ihr den christlichen Glauben. Als die Öllampe erlischt, will Afra sie wieder entzünden, aber es gelingt ihr nicht. Darauf sagt Narzissus: „Kümmere dich nicht um das  Licht, das verlöschen kann. Bald wird dir ein Licht gezeigt, das nicht mehr erlöschen kann.“ Er betet zu Christus mit den Worten des Psalms: „Komm, Licht vom Himmel, zeig dein Antlitz und wir werden gerettet“ (vgl. Ps 80,4.8.20). Sogleich kommt wie ein Blitz Licht vom Himmel und erhellt sonnengleich den Raum, bis der Morgen dämmert. - Eine anrührende und anschauliche Schilderung, was passiert, wenn jemand den christlichen Glauben entdeckt. -  Nach mehreren Tagen Unterricht tauft Narzissus Afra und ihre Mutter Hilaria sowie die anderen Mädchen, die sie bisher beschäftigt hat. Das Haus der Hilaria wird zur  Kirche, das Priesteramt übernimmt Zosimus, ein Onkel Afras. Narzissus zieht nach neunmonatiger Missionsarbeit weiter nach Spanien, wo er mit seinem Diakon drei Jahre später das Martyrium erleidet.

 

In dem zweiten Teil, der Passio, wird nun erzählt, wie Afra mit ihren Gefährtinnen als Christin vor den römischen Richter geschleppt wird. Sie soll ihren Glauben verleugnen und den Göttern opfern. Der Dialog mit ihrem Richter wird ausführlich geschildert. Die ganze Erzählung ist sehr stark angelehnt an frühchristliche Märtyerberichte. Es ist ein regelrechter Märtyerroman. Es kommt, wie es unweigerlich kommen muss: Sie wird zusammen mit ihren Gefährtinnen zum Tod verurteilt und soll lebendigen Leibes verbrannt werden. Das Urteil wird außerhalb der Stadt vollzogen. Die Flammen erfassen ihren Leib nicht, aber sie erstickt am Rauch. Heute steht an der Stätte, an der man ihr Martyrium vermutet, die Kirche St. Afra im Feld.

 

Als Todestag ist der 7. August überliefert. Dargestellt wird Afra darum auch meistens während ihres Martyriums, an einen Baumstamm angebunden, von lodernden Flammen umgeben. Zusammen mit Bischof Ulrich ist sie die Patronin der Stadt und des Bistums Augsburg. St. Ulrich und St. Afra ist neben dem Dom die bedeutendste Kirche in Augsburg, Jahrhunderte lang zugleich Benediktinerkloster und Reichsabtei. Ihr erster Abt war 1012 - 1015 Reginbald, der spätere Bischof von Speyer. Von 1064 bis 1071 wurde die Kirche neu gebaut. Bei den Bauarbeiten stieß man  auf einen römischen Steinsarkophag, in dem ein Skelett lag, das Spuren von Verbrennung zeigte.  Man vermutete, die Gebeine der hl. Afra gefunden zu haben und erhob sie zur weiteren Verehrung. Heute ist der Sarkophag neben dem Grab des späteren Bischofs Ulrich in der Krypta der Kirche zu sehen.

 

Die Salier waren mit Augsburg sehr eng verbunden. Bischof Heinrich II. von Augsburg (1047 – 1063) war in seiner vorbischöflichen Zeit Kanzler der italienischen Kanzlei Heinrichs III. gewesen. Nach dem Tod des Kaisers wurde er von 1057-1062 der einflussreichste Berater der Kaiserinwitwe Agnes, als sie für ihren unmündigen Sohn die Regentschaft führte. Es ist deshalb verständlich, dass die Regentin am Bischofssitz ihres Vertrauten wichtige Angelegenheiten beraten und entscheiden ließ.

 

Kaiser Heinrich IV. hat sich insgesamt vierzehnmal in Augsburg aufgehalten. Er weilte damit häufiger als jeder andere Herrscher bis zum Ende der Stauferzeit in der Bischofsstadt am Lech. Dies mag mit der Königstreue der Augsburger Bischöfe zusammenhängen. Zugleich hatte Augsburg aber auch eine wichtige Funktion als Heeressammelplatz und Ausgangspunkt für Italienzüge. Von daher war Heinrich natürlich die ganze Afratradition vertraut. Offensichtlich wurde er ein besonderer Verehrer der Heiligen. Eine für die Reichsgeschichte bedeutsame, in Augsburg entstandene Quelle berichtet zum Jahre 1084, wie durch ein Wunder sei in der Nacht vom 6. auf den 7. August die Stadt geräumt worden, die vorher von Truppen unter Führung des feindlichen Bayernherzogs Welfs IV. besetzt worden war. Unter dem Jubel von Klerus und Volk konnte Heinrich IV. am 7. August 1084 kampflos einziehen. Auch darum mag Afra seine Lieblingsheilige gewesen sein. So geht wohl auf seine Anregung das Patrozinium unserer Afrakapelle zurück.

 

An dieser Stelle erlaube ich mir, auf zwei Irrtümer hinzuweisen, die immer wieder im Zusammenhang mit der Afrakapelle erzählt werden. Die Afra-Kapelle ist nicht nach der Tagesheiligen des Geburtstages seines Sohnes Heinrich V. benannt, auch wenn diese Angabe gelegentlich in der Literatur zu finden ist. Zwar sind wohl andere Kapellen am Dom nach solchen Tagesheiligen benannt. Nach heutigen Erkenntnissen ist Heinrich V. aber am 11. August 1086 geboren, also einige Tage später. Vielleicht war der Grund für die Benennung eben jener unerwartete Sieg und Einzug in die Stadt Augsburg. Dort hat Heinrich - wie eine spätere Quelle berichtet - sich für Speyer Reliquien der hl. Afra erbeten und auch bekommen. Der Überlieferung nach handelte es sich dabei um das zweite Glied des großen Zehs. Leider ist diese Reliquie im Lauf der Jahrhunderte hier verloren gegangen.

 

Eine zweiter Irrtum, den ich schon öfter gehört habe: die Affenkapitelle an der Westseite der Afrakapelle wären eine Anspielung auf den Namen der Heiligen. So plausibel diese Zuordnung auf den ersten Blick klingen mag, es handelt sich offensichtlich um eine Volksetymologie. Affen symbolisieren nach mittelalterlicher Tradition das Unheimliche, die Sünden und Laster.  Im „Physiologus“, einem frühchristlichen Kompendium der Tiersymbolik, wird der Affe sogar als Sinnbild des Teufels bezeichnet. Der Affe, so heißt es da, hat einen Kopf, aber keinen Schwanz. Demzufolge hat der Satan einen Anfang, aber seine Verdammnis wird kein Ende haben. Wie auch an anderen Kirchen sollen die Affenfratzen den Betrachter auf das Böse hinweisen, von dem er immer wieder bedroht ist, das er aber im Glauben besiegen kann.

 

Zurück zur Legende um die heilige Afra. Heutzutage tun wir uns eher schwer mit solchen wundersamen Geschichten. Wir werden diesen Erzählungen wohl am besten gerecht, wenn wir sie als Ausdruck überzeitliche Wahrheiten sehen. In Form von anschaulichen Geschichten soll den Menschen die Bedeutung des Glaubens erschlossen werden. Walter Nigg, ein Schweizer reformierter Theologe, der sich sein ganzes Leben lang mit Legenden beschäftigt hat, formuliert es so:  „Legenden sind gestaltgewordener Geist des Christentums, der alle pragmatische Tatsächlichkeit überflutet.“ D. h. sie wissen um eine letzte Wirklichkeit hinter allen Dingen ähnlich wie die Poesie, die Musik und die bildende Kunst. „Glaube ist Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ So hat es die heutige Lesung aus dem Hebräerbrief formuliert (Hebr 11,1). Und das Evangelium fordert uns auf, einen Schatz im Himmel zu suchen, der unvergänglich ist (Lk 12,33). Die Heiligen zeigen uns auf ihre Weise dazu den Weg.

 

Im 11. Jahrhundert verfasst Hermann der Lahme, ein Mönch von der Reichenau, das Afra-Offizium. (Er ist übrigens als vermutlicher Verfasser des „Salve Regina“ auf der Innenseite unseres Domportals dargestellt.) Dabei handelt es sich um eine Abfolge von Gesängen, die Afras Leben zu jeder Gebetsstunde an ihrem Festtag erzählen. Seine Deutung hat nichts an Aktualität verloren. Afra ist in seinen Augen das Bild einer Christin, die alle Anfeindung und Ablehnung der Welt überwindet. Sie steht fest im Glauben und besteht die Feuerprobe des Leidens. Damit wird sie zum Vorbild und zur Fürsprecherin für uns. So soll am Schluss meiner Betrachtung jene Bitte stehen, die Hermannus Contractus, an die Heilige des heutigen Tages richtet:

„Heilige Märtyrerin Gottes,

die du im Feuer des Glaubens brennend

die Flammen der Peiniger verachtet hast,

du Opferlamm Christi,

lösche durch deine Gebete

die verderbliche Glut der Leidenschaft,

damit in uns wachse

die glühende Liebe zu Gott.“

 

 

Verwendete Literatur in Auswahl:

Walter Nigg, Die stille Kraft der Legende. Vergessene Heilige kehren zurück. Freiburg 1982

Monika Prams-Rauner (Hrsg.), Hymni de sancta. Hymnen an die heilige Afra. Augsburg 2006

www.augsburger-stadtlexikon.de/ da besonders: Georg Kreuzer: Von der fränkischen Zeit bis zur Verleihung des Stadtrechts (1276)

 

Manfred Weitlauff u. a. (Hrsg.) Afra, eine frühchristliche Märtyrerin in Geschichte, Kunst und Kult; 304 - 2004 ; Ausstellungskatalog des Diözesanmuseum St. Afra  

Die Kunstdenkmäler von Rheinland-Pfalz. Der Dom zu Speyer. Textband. (Bearbeitet von H. E. Kubach und W. Haas) 1972, S. 447ff

Lexikon des Mittelalters. München 1980

Lexikon für christliche Ikonographie. Freiburg 1968

 

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